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Berufsunfähigkeitsversicherung – konkrete Ausgestaltung des ausgeübten Berufes

BGH, Az: IV ZR 227/91,Urteil vom 30.09.1992

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger seit 1. September 1985 bis längstens Februar 2012 (vereinbartes Vertragsende) eine Rente von monatlich 600 DM wegen Berufsunfähigkeit schuldet und verpflichtet ist, ihn ab 1. September 1985 von Beitragszahlungen freizustellen. Anspruch auf Rentenzahlung und Beitragsbefreiung entstehen nach den zwischen den Parteien vereinbarten Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ) bei Vorliegen einer Berufsunfähigkeit von mehr als 50%.

Berufsunfähigkeitsversicherung - konkrete Ausgestaltung des ausgeübten BerufesDer Kläger macht geltend, wegen einer chronischen Darmerkrankung, wegen häufig auftretender starker Kopfschmerzen und wegen belastungsabhängiger Schmerzen im Bereich der rechten Schulter mit Ausstrahlungen in den Rücken außerstande zu sein, weiterhin in seinem erlernten Beruf eines Zimmermannes zu arbeiten. Die Beklagte lehnt Leistungen aus mehreren Gründen ab. Sie ist von der im Jahre 1983 abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zurückgetreten mit der Begründung, der Kläger habe ihr bei Antragstellung bereits bestehende Beschwerden im Darmbereich und eine Schilddrüsenerkrankung verheimlicht.

Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hatte seine Entscheidung zunächst nur damit begründet, daß die Beklagte wegen Nichtangabe der Darmbeschwerden rechtswirksam zurückgetreten und damit gemäß § 21 VVG leistungsfrei geworden sei. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufgehoben worden. Zur Begründung seiner Entscheidung (BGHZ 108, 326) hat der erkennende Senat ausgeführt, daß die Beklagte die einmonatige Rücktrittsfrist des § 20 Abs. 1 VVG nicht gewahrt habe.

Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung erneut bestätigt. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel unverändert weiter.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt erneut zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat nunmehr seine Entscheidung allein damit begründet, der Kläger sei in seinem versicherten Beruf als Zimmermann in der Zeit vom 1. September 1985 bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung nicht zu mehr als 50% berufsunfähig und damit auch nicht anspruchsberechtigt geworden.

Nach den Untersuchungsergebnissen und Feststellungen des gerichtlich beauftragten medizinischen Sachverständigen Prof. B. leide der Kläger lediglich an einer funktionellen Diarrhoe psychogenen Ursprungs und an den belastungsabhängigen Auswirkungen beginnender degenerativer Veränderungen der Schulter-, Hüft- und Kniegelenke, ferner des Achsenskeletts. Hinzu komme eine rezidivierende Mykose, ein Ekzem und eine klassische Migräne.

Nach Einschätzung des medizinischen Sachverständigen sei der Kläger zwar nur noch mit leichter bis mittlerer körperlicher Belastung einsetzbar. Seine Migräne verbiete auch eine überdurchschnittliche nervliche Belastung. Zuzumuten seien dem Kläger jedoch Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen bzw. witterungsgeschützten Räumen mit der Möglichkeit, regelmäßige Pausen einzulegen und Nahrung aufzunehmen. Den Grad der Berufsunfähigkeit des Klägers beurteile der medizinische Sachverständige mit 50% und keinesfalls darüber liegend.

Auf eine Verweisbarkeit des Klägers auf andere Tätigkeiten als die eines Zimmermannes komme es deshalb nicht mehr an.

II. Diese Ausführungen beruhen auf einem unzutreffenden Verständnis des in den Versicherungsbedingungen der Beklagten geregelten Versicherungsfalles – des Eintritts einer 50% überschreitenden Berufsunfähigkeit. Ihnen liegt demgemäß eine unzulängliche Beweisaufnahme zugrunde. Überdies hat das Berufungsgericht entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt.

1. Berufsunfähigkeit in der – auch von der Beklagten (vgl. § 2 Abs. 1 BB-BUZ, Bd. I Bl. 17 GA) übernommenen – Definition der Musterbedingungen aus dem Jahre 1975 (VerBAV 1975, 2) ist ein eigenständiger juristischer Begriff und darf nicht mit Berufsunfähigkeit oder gar Erwerbsunfähigkeit im Sinne des gesetzlichen Rentenversicherungsrechts gleichgesetzt werden. Dies muß medizinischen Sachverständigen stets unmißverständlich vor Augen geführt werden, ist hier aber unterblieben. Es geht nicht an, es einem Sachverständigen, der juristischer Laie ist, zu überlassen, ob es ihm gelingt, sich im Zuge seiner Gutachtenerstattung zu juristisch bedeutsamen Begriffen hinreichend sachkundig zu machen. Soweit für eine sachgerechte Gutachtenerstattung notwendig, ist er vielmehr mit juristischen Begriffen und einschlägigen Tatbeständen ebenso vertraut zu machen wie mit allen sonstigen Umständen, von denen er bei seiner Begutachtung auszugehen hat, vgl. § 404a ZPO.

2. Berufsunfähigkeit im Sinne der genannten Musterbedingungen ist ein Tatbestand, der sich nicht allein aus gesundheitsbedingten Komponenten zusammensetzt.

Für den hier zu entscheidenden Fall interessiert zunächst nur die erste Variante dieses Versicherungsfalles: Der Versicherte muß voraussichtlich dauernd infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande sein, seinen Beruf auszuüben.

a) Die Musterbedingungen schreiben nur für „Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall“, das Kerngebiet ärztlicher Beurteilung, die ärztliche Feststellung als unerläßlich vor.

b) Allerdings wirken sich gesundheitliche Beeinträchtigungen zwangsläufig auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit bzw. die psychische Belastbarkeit eines Patienten aus. Auch insoweit und ebenso für die Frage voraussichtlicher Fortdauer einer derartigen Beeinträchtigung verfügt der Mediziner über dem Juristen regelmäßig fehlendes Spezialwissen, das ihn befähigt, Helfer des Gerichts zu sein.

c) Für Berufsunfähigkeit im privatversicherungsrechtlichen Sinn ist indessen nicht die Beeinträchtigung der allgemeinen Leistungsfähigkeit oder der Belastbarkeit schlechthin maßgebend. Es geht vielmehr darum, wie sich gesundheitliche Beeinträchtigungen in einer konkreten Berufsausübung auswirken. Bei dieser Beurteilung muß bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des betreffenden Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt.

Insoweit ist es Sache desjenigen, der den Eintritt des Versicherungsfalles Berufsunfähigkeit geltend machen will, substantiiert vorzutragen und im Falle des Bestreitens Beweis für sein Vorbringen anzutreten. Als Sachvortrag genügt dabei nicht die Angabe eines bloßen Berufstyps und der Arbeitszeit. Es muß von dem Versicherten, der hierzu unschwer imstande ist, verlangt werden, daß er eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung gibt, mit der die für ihn anfallenden Leistungen ihrer Art, ihres Umfanges wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (vgl. für den Fall eines beruflich Selbständigen Senatsurteil vom 25. September 1991 – IV ZR 145/90 – BGHR, BB-BUZ §§ 1ff., Beweislast 2 = VersR 1991, 1358).

Sache des Gerichts ist es dann zu entscheiden, ob zunächst eine Beweisaufnahme zu dem vorgetragenen Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung geboten ist, deren Ergebnis einem anschließend einzuschaltenden medizinischen Sachverständigen vorzugeben ist – sei es in alternativer Form, sei es aufgrund von Feststellungen, die das Gericht bereits zu treffen vermag. Jedenfalls muß der medizinische Sachverständige wissen, welchen – für ihn unverrückbaren – außermedizinischen Sachverhalt er zugrunde zu legen hat. Ist ihm auf diese Weise bekanntgemacht, welche Anforderungen beruflich an den Patienten gestellt sind, so erscheint es grundsätzlich unbedenklich, ihn auch zu Frage und Ausmaß einer gesundheitsbedingten Einschränkung der Fähigkeit, diesen Anforderungen gerecht zu werden, Stellung nehmen zu lassen.

Bislang liegt diese tragfähige Stellungnahme hier aber nicht vor.

3. Seiner Vortragslast ist der Kläger bislang auch nur zum Teil nachgekommen. Veranlaßt durch das rechtsfehlerhafte Vorgehen des Gerichts hat er dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen zwar eine Berufsbeschreibung gegeben (Bd. IV Bl. 359f. GA); sie ist aber ergänzungsbedürftig. Die bloße Angabe, er habe als Zimmermannsgeselle im kleinen Team in einer Fertigbaufirma gearbeitet, es seien dabei nicht nur Zimmermannsarbeiten angefallen, es habe sich um körperlich anstrengende Arbeit gehandelt, liefert noch kein hinreichend klares Bild der wirklich für den Kläger angefallenen Tätigkeiten und ihrer Anforderungen an seine Leistungsfähigkeit (Gleiches gilt übrigens für die dazu erforderlichen bzw. dabei gesammelten beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen).

Auch die Vorlage eines Auszugs aus der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Zimmerer-Handwerk – Bd. II Bl. 300 und Bd. IV Bl. 457 GA – vermag die unerläßliche Konkretisierung noch nicht herbeizuführen. Immerhin mußten die Angaben des Klägers, mit denen sich das Berufungsgericht in seiner Beurteilung, ob der Kläger berufsunfähig geworden ist, nicht einmal auseinandersetzt, dem Gericht Anlaß geben, den Kläger darauf hinzuweisen, daß er ergänzend vortragen müsse, weil es andernfalls für Gericht und Sachverständigen an unerläßlichen Beurteilungsgrundlagen fehle. Die Zurückverweisung gibt Gelegenheit, dies nachzuholen, § 278 Abs. 3 ZPO.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin: Sollte es auf die Verweisbarkeit des Klägers auf sogenannte Vergleichsberufe ankommen, so wird es Sache der Beklagten sein, orientiert an dem dann hinreichend konkretisierten Beruf des Klägers, „vergleichbare“ Berufe aufzuzeigen. Der allgemeine Hinweis auf Tätigkeiten im Bereich der Holzverarbeitung oder des Holzverkaufes ist dafür ebenso unzureichend wie ein unsubstantiierter Hinweis auf Pförtner-, Telefonisten- oder Hausmeistertätigkeiten. Damit ist noch kein „Vergleichsberuf“ aufgezeigt (vgl. auch Senatsurteil vom 11. November 1987 – IVa ZR 240/86 – VersR 1988, 234 unter 2 c a.E.).

5. Bei der Zurückverweisung hat der Senat von § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

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